»Der Arbeit eine Brücke in die Zukunft bauen«

Lemgo /

Technologien der Künstlichen Intelligenz (KI) sind schon lange in den Tech-Konzernen in das Tagesgeschäft übergegangen – vom Service über interne Prozesse und Tools bis hin zu weltweit milliardenfach vertriebenen Produkten. Und auch in der Industrie hat sich die KI bereits tief in die Produktionsprozesse eingeschrieben und als Wettbewerbsvorteil etabliert. Doch wie steht es um den Mittelstand vor Ort? Wie profitiert die Wirtschaft in Ostwestfalen-Lippe (OWL) von den neuen Errungenschaften der KI, wie schafft man Akzeptanz für die Technologien und wie können sie sich positiv auf das Tagesgeschäft produzierender Unternehmen auswirken? Kurz, wie kann mithilfe von KI Standortsicherung betrieben werden?

Diese Fragen adressiert das am 1. Oktober gestartete regionale Kompetenzzentrum: KIAM – KI in der Arbeitswelt des industriellen Mittelstands in OstWestfalenLippe – bündelt das Know-how von 18 Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, um Methoden des Maschinellen Lernens und KI verstärkt in die Anwendung im unmittelbaren Arbeitsumfeld von Unternehmen zu bringen und Akzeptanz zu schaffen. 
 

KI: Das Momentum aufnehmen und nutzen

Methoden künstlicher Intelligenz sind im Begriff, weitreichende Neuerungen und Änderungen in Gesellschaft und Wirtschaft hervorzubringen. Schon heute unterstützen KI-Systeme Arbeitsprozesse, entlasten Arbeitnehmer und generieren neue Geschäftsmodelle. Insbesondere der Mittelstand steht nun vor der Herausforderung, dieses Momentum für sich zu nutzen und Produktionen flexibler, transparenter, sicherer und effizienter aufzustellen. Um Gelegenheiten und Ansatzpunkte hierfür im Tagesgeschäft zu finden, fehlt es oftmals an Fachpersonal oder an eindeutigen Organisationsstrukturen und technischen Anforderungen. KIAM könnte unter den vielen Transfer-Plattformen und Forschungsvorhaben zu den Themen der digitalen Transformation und Industrie 4.0 einen substantiellen Beitrag leisten: Neben der Förderung in den nächsten fünf Jahren mit 10,7 Mio. Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) setzten sich dieses und ein weiteres Projekt in einem Auswahlverfahren gegen 47 Bewerbungen als „Kompetenzzentrum für Arbeitsforschung“ durch. Das Fraunhofer IOSB-INA aus Lemgo bringt hierzu seine umfangreiche Erfahrung aus zahlreichen Umsetzungsprojekten im Bereich Mensch-Maschine-Interaktion und Assistenzsysteme ein, insbesondere seine Expertise in der Steigerung von Nutzerakzeptanz und der mensch-zentrierten Technologiegestaltung. Darüber hinaus ist die Zusammenstellung der Umsetzungspartner interessant: Zu Traditionsunternehmen wie Dr. Oetker, Wago und Miele gesellen sich die Universitäten Bielefeld und Paderborn, die TH OWL in Lemgo sowie die Fraunhofer-Gesellschaft. 
 

Technologie-Akzeptanz ist Kernthema

In den Leuchtturmprojekten treffen Forschungseinrichtungen und Unternehmen aufeinander, um konkrete Lösungen, Formate und Infrastrukturen zu entwickeln, die KI-Technologien in unterschiedlichen Use Cases zur Verfügung stellen. Hierbei kann es um innerbetriebliche Weiterbildung und digitale Schulungsprogramme gehen, um KI-gestützte Vertriebs-, Personal- oder Absatzplanung,

oder um die Optimierung einzelner technischer Prozesse. Bei allen Teilprojekten ist die Einbettung in die jeweilige Unternehmenskultur und auf das spezifische Arbeitsumfeld mit seinem Domänenwissen und Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zentral. Aus diesem Grund ist die IG Metall ebenfalls Teil des Projektkonsortiums und die Betriebsräte werden in die Umsetzung einbezogen. Gerade in der Implementierung von Assistenzsystemen im Bereich Fertigung oder Weiterbildung, bei organisatorischen Veränderungen oder bei Eingriffen in das operative Tätigkeitsumfeld ist die Akzeptanz durch die Nutzerinnen und Nutzer unabdingbar. In Lemgo kennt man sich mit nutzerzentrierten Systemen bestens aus – aus gutem Grund also wird das Fraunhofer IOSB-INA bei KIAM die KI-basierten Optimierungen und Informationen im Arbeitsumfeld anwendergerecht aufbereiten und darstellen. 
 

Assistenzsysteme: sensible Schnittstelle zur Belegschaft

Über Assistenzsysteme – wie z.B. mit dem Einsatz von Augmented Reality (AR) – werden Inhalte vermittelt, die den Arbeitsprozess durchgängig transparenter machen sollen. Auf der einen Seite soll der / die Mitarbeiter*in profitieren, da Prozess- und Arbeitsschritte klar definiert und übersichtlich werden. Mindestens genauso wichtig ist für die Fraunhofer Forscher die Ergonomie, also die optimale Konfiguration von Arbeitsstation und Tätigkeiten im Produktionsfluss, um die Arbeit in körperlicher und geistiger Hinsicht angenehmer und weniger belastend zu gestalten. Insbesondere bei der manuellen Montage kommt dies zum Tragen. Hierdurch soll der Arbeitsprozess als solcher effizienter werden, z.B. mit Blick auf Materialeinsatz und Ausschuss. Dass die Optimierung solcher Prozesse mithilfe von Assistenzsystemen einer validen wissenschaftlichen, interdisziplinären Begleitung sowie einer umfassenden und nachvollziehbaren Dokumentation nach allen Seiten der Projektbeteiligten bedürfen, liegt auf der Hand. 

Gemeinsam mit den Unternehmen Bosch Rexroth und Atos sowie der Universiät Paderborn wird die Forschungsgruppe Assistenzsysteme des Fraunhofer IOSB-INA an zwei der Leuchtturmprojekte von KIAM arbeiten: KI-Applikationen sollen in der Weise sukzessive in einen Montageplatz implementiert werden, so dass herausgefunden werden kann, wie die jeweiligen Arbeitsprozesse besser für Menschen ausgerichtet und ausgelegt werden können. Fraunhofer wertet die Daten der KI aus und erstellt Konzepte, in welcher Form und Fülle Arbeitsanweisungen und Hilfestellungen nutzergerecht aufbereitet und vermittelt werden können bzw. welche Art und welcher Umfang an Daten eingesetzt wird. 
 

KIAM: Transfer für weitere Mittelständler

Ein neu entwickleltes Visualisierungskonzept soll auf Augenhöhe mit der Belegschaft erprobt und verbessert werden. Im anschließenden Transferteil soll die Übertragbarkeit der Ergebnisse und Tools auf weitere mittelständische Partner im Spitzencluster und in ganz Deutschland vorbereitet werden Anhand von Best Practices sollen die Forscherinnen und Forscher aus Lemgo mit den Unternehmen eine Methodik bzw. ein übergreifendes Konzept erarbeiten, wie die Ergebnisse erfolgreich implementierter Assistenzsysteme in andere Domänen, Branchen und Arbeitsprozesse übertragen werden kann. Die Vielfalt der Projektpartner – mit unterschiedlichen Anforderungen und Blickwinkeln auf diese sensiblen Schnittstellen zu Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – sind gleichzeitig große Herausforderung und großer Vorteil des Gesamtprojekts. 

Marc Brünninghaus, wissenschafticher Mitarbeiter am Fraunhofer IOSB-INA und Experte für Mensch-Maschine-Interaktion, freut sich auf ein spannendes Projekt: „Der Vorteil von KIAM besteht meines Erachtens nach in der direkten Beteiligung von Belegschaften und KMU. Wenn wir auf diesem Weg nicht nur in internationalen Großkonzernen, sondern durch die intensive Beteiligung der Menschen auch in kleinen Betrieben mit unseren Systemen erfolgreich sind, können wir von partizipativen KI-Konzepten sprechen.“ Die beiden Kompetenzzentren des BMBF, wovon sich eines in Ostwestfalen-Lippe befindet, bieten hier eine vielversprechende Infrastruktur. Für OWL bietet sich hier die Chance, seine regionalen Player in einen dynamischen Entwicklungsprozess neuer Technologien einzubinden und zu beteiligen. „Es ist schön zu sehen, dass auch übersichtlichere Produktionsprozese und Teamgrößen mit KI arbeiten und dass mensch-zentrierte Arbeitskonzepte in den Mittelpunkt rücken, statt große Supply Chains von Konzernen, wo KI heute schon aktiv arbeitet“, so Brünninghaus weiter. 

Gruppenleiter Prof. Dr. Dr. Dr. Röcker ergänzt: „ Wir freuen uns über eine große Chance, die Arbeitswelt der Zukunft gemeinsam mit Unternehmen und Kolleginnen und Kollegen der wissenschaftlichen Community zu gestalten. Die Zukunft ist heute noch nicht vorgegegben – es liegt an uns sie zu gestalten. KIAM bietet das große Potenzial, schon heute im Mittelstand der Arbeit eine Brücke in die Zukunft zu bauen.“